Hm, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Knapp ein Jahr ist es nun her, dass es von mir hier den letzten Beitrag gab. Seitdem hat sich so viel getan.
Zuerst vielleicht das Wichtigste: Unser Maimädchen ist jetzt seit einem Jahr krebsfrei! Wir haben das erste Jahr geschafft. Ich bin so glücklich darüber!
Und weil dieses letzte Jahr so voller schöner Ereignisse war, bin ich gar nicht dazu gekommen, irgendetwas aufzuschreiben. Wir steckten einfach mittendrin im Leben. Wir sind wieder da und es gibt so wahnsinnig viel nachzuholen, so viel Alltag, aber auch so viel innehalten und nachdenken über das, was passiert ist. Im ganzen täglichen Gewusel gibt es immer wieder Momente, da wird mir ganz schwer ums Herz. Da kommt die ganze Angst, die Hilflosigkeit, die Verzweiflung, die Traurigkeit wieder hoch. Da frage ich mich, wie wir das alles geschafft haben. Und dann kommen die Momente, in denen die Kinder da sind, miteinander spielen, sich streiten und man schaut sie an und ist einfach nur dankbar für das, was ist.
Aber nochmal von vorn: Eigentlich sollte es diesen Beitrag schon am 3. April geben und eigentlich sollte dieser Beitrag etwas anders beginnen. Zum Beispiel mit: Heute sind wir endlich zu unserer langersehnten Familienreha aufgebrochen, oder: Nach einem Jahr Therapieende dürfen wir uns in der Reha erholen. Leider lief das aber nicht ganz so, wie wir uns das erhofft hatten. Also fange ich vielleicht doch nochmal von vorne an? Aller guten Dinge sind drei, oder? Ich versuche es einfach nochmal:
Nach einem Jahr Therapieende (Jippieh!) waren wir letzten Monat auf Sylt in der Syltklinik zur Familienreha. Die Syltklinik ist eine Rehaeinrichtung für Familien mit krebskranken Kindern. Wir waren dort mit über zwanzig anderen Familien untergebracht, die alle das Gleiche mitgemacht haben wie wir. Einige Kinder sind noch in der Therapie, einige sind gerade fertig geworden und wieder andere, wie wir auch, haben die Therapie bereits etwas länger beendet. Ziel der Familienreha ist es, nach der ganzen anstrengenden Phase der Therapie wieder Zeit gemeinsam als Familie zu verbringen, Zeit als Paar zu haben, den Kindern schöne Momente zu bereiten. Sowohl die erkrankten, als auch die Geschwisterkinder haben die Möglichkeit, Therapien zu bekommen oder verschiedene Angebote wahrzunehmen. Das geht von Ergotherapie, Physiotherapie über psychomotorisches Schwimmen oder Reiten bis zu Geschwisterprojekten, in denen die gesunden Geschwister, die in der Therapiezeit so viel zurückstecken mussten einfach mal für sich sind und auf niemanden Rücksicht nehmen müssen. Auch das Angebot für die Eltern ist sehr vielfältig und reicht von verschiedenen Sportmöglichkeiten über Entspannungstechniken oder Vorträgen zu verschiedenen Themen bis zum Mützen-Häkelkurs. Es ist wirklich für jeden etwas dabei.
Außerdem tut es gut mit Leuten zusammen zu sein, denen das Gleiche passiert ist. Man ist hier nicht „die Familie mit dem kranken Kind“. Du musst dich nicht erklären. Die Kinder, die hier herumlaufen sind glücklich. Und die Erwachsenen werden es auch. Es ist unglaublich mit anzusehen, welche Fortschritte die Kinder hier in vier Wochen in ihrer Entwicklung machen und es ist so schön zu sehen, wie Eltern, die am Anfang der Zeit noch ziemlich gehetzt und fertig aussehen, langsam in die Ruhe finden und fröhlicher werden.
Naja, nun heißt mein Bericht ja nicht umsonst „Familienreha mal anders“. Denn diese ganze Erholung, das Auftanken, Seele baumeln lassen, Kraft schöpfen ist bei uns leider nicht so ganz angekommen.
Wir waren krank. Und zwar nicht so ein bisschen mit Schnupfen und Hüsterken, sondern so richtig doof mit Spucken und 40° Fieber. Und auch nicht ein paar Tage, sondern insgesamt gut drei Wochen.
Ich versuche, es kurz zu machen: Direkt am ersten Abend fing der Vollmundjunge an. Zuerst sind wir davon ausgegangen, dass das alles vielleicht ein bisschen viel Aufregung für ihn war, aber nachdem wir die Nacht fast nicht zum schlafen kamen, war uns dann doch klar, dass er sich einen Magen-Darm-Infekt mitgebracht haben muss. Wie ich schon sagte, sind bei der Reha auch immer Kinder dabei, die noch unter Therapie sind oder gerade fertig sind und deren Immunsystem dadurch einfach noch sehr schwach ist. Wenn also sonst sowieso aufpassen angesagt ist, dann gilt es hier, richtig aufzupassen. Jeder Infekt muss gemeldet werden, Isolation ist angesagt und nach 24 h Symtpomfreiheit darf man wieder unter Menschen. Das erste Mal 24 h symptomfrei waren wir Freitag Abend (wir sind Mittwoch angekommen). Nach zwei Tagen erschien unsere Familie also das erste Mal gemeinsam am Essenstisch im Speisesaal. Wenige Stunden später war klar, dass das vorerst nicht wieder passieren sollte, denn nun waren das Maimädchen und ich an der Reihe. Das Spiel setzte sich fort. Jedesmal, wenn wir uns in Sicherheit glaubten, dauerte es keine 12 Stunden und der Nächste war dran. Im Endeffekt waren wir nach zwei Wochen durch und hofften, unsere Reha nun beginnen zu können.
Das Osterwochenende stand vor der Tür. Es gab ein paar tolle Angebote für die Kinder, das Wetter war grandios und wir fuhren mit der Familie raus. Die Kinder waren noch ziemlich schwach, deshalb haben wir es ganz ruhig angehen lassen. In der Nacht zum Ostermontag fing dann der Vollmondjunge wieder an. Diesmal hustete er und wir merkten auch schon, dass er ziemlich warm war. Fieber. Mittlerweile kannten uns die Schwestern von der medizinischen Abteilung schon ganz gut, wir meldeten uns wieder krank und waren erneut isoliert. Die letzte Reha-Woche brach ohne uns an.
Täglich hofften wir, dass das Fieber sinkt und wir noch etwas von der Woche mitnehmen konnten, aber den Gefallen tat uns das Fieber erst Donnerstag, sodass wir doch tatsächlich am letzten Freitag unserer Reha das erste Mal richtig Paar-Zeit genießen konnten. Während um uns herum langsam alles in Aufbruch-Stimmung kam, hatten wir das Gefühl, gerade anzukommen und uns erholen zu können. Die letzten Tage hatten wir dann noch ein paar wirklich tolle Gespräche mit anderen Eltern. Umso trauriger war ich, weil ich merkte, was ich in den letzten Wochen alles verpasst hatte.
Als wir am Dienstag die Abschiedsfeier hatten, habe ich es nicht geschafft, mit zu feiern. Ich bin an den Strand gegangen. Habe mir den Wind um den Kopf pusten und die Wellen um die Füße spülen lassen. Das war der erste Moment, an dem ich das Gefühl hatte, meinen Tank wieder füllen zu können.
Nun sind wir seit einer Woche wieder zu Hause. Der Alltag hatte uns schnell wieder im Griff. Irgendwie ist es genauso stressig wie vorher. Und doch ist es ein wenig anders.
Wie das immer so ist, verblassen die unschönen Ereignisse recht schnell und die Erinnerung an die schönen Tage überwiegt. Und auch, wenn der Kontakt zu den meisten Familien eher sporadisch war, weil wir uns in der ersten Hälfte der Reha fast nicht draußen blicken lassen konnten und wenn, dann immer nur einzeln, gab es doch einige sehr beeindruckende Kontakte.
Die Kinder sind gewachsen. Alle drei. Sie haben einen großen Sprung nach vorn gemacht.
Und wir Erwachsenen? Was nehme ich mit aus dieser Reha, die nicht wirklich eine war? Brauchte ich diese Erfahrung um endlich einzusehen, dass ich zu Hause Wege finden muss, um Kraft zu tanken? Natürlich habe ich das vorher schon versucht, aber ich hatte gehofft, durch diese Reha mit mehr Energie wieder in den Alltag starten zu können. Einfach mal nicht immer am Limit zu sein.
Ich bin mir noch nicht sicher, was ich aus diesen vier Wochen lernen soll. Ein paar Dinge sind offensichtlich: Wir haben ein paar Kleinigkeiten in unserem Alltag geändert, die uns helfen, den Tag ruhiger zu starten und zu beenden. Ich habe gelernt Mützen zu häkeln und Filzpuschen zu stricken.
Aber ich glaube, da ist noch mehr. Ich kann es noch nicht greifen, aber ich glaube, es hat mit den Menschen zu tun, die ich dort kennen gelernt habe. Mit der Art und Weise des Umgangs dort. Vielleicht werde ich das irgendwann in Worte fassen können. Solange denke ich einfach an sie, wenn ich meine moralischen fünf Minuten bekomme. Dann ist es leichter.
Und ich habe mir vorgenommen, wieder mehr zu schreiben. Das hat mir immer sehr gut getan und ich habe es im letzten Jahr sehr vermisst. Bis ganz bald also!
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