Eine Familie mit 3 Kindern - ein Kinderspiel.

Monat: Mai 2018

Rückblick

Heute vor einem Jahr war die große OP.
Soviel über die OP direkt habe ich letztes Jahr gar nicht geschrieben, daher möchte ich das heute nachholen. Der Tag ist einfach präsent in meinem Kopf. Heute mehr als an anderen Tagen:

Was für ein Tag! Nach einer Nachtfahrt quer durch Deutschland kamen wir am Tag vorher in Tübingen an. Völlig übernächtigt, die Nerven lagen blank.


Dann kam das Vorgespräch für die OP. Bei der Diagnosestellung sprach man immer davon, dass sich nur in der rechten Niere ein Tumor befand und in beiden Nieren Tumorvorstufen vorhanden seien. Der Tumor sollte entfernt werden, aber die Tumorvorstufen würde man nicht anrühren. Die könnten nicht operiert werden. So wurde uns das erklärt.
Im OP-Vorgespräch hieß es nun auf einmal, dass man von mehreren beidseitigen Tumorherden ausgeht und das alles, was nach Tumor oder Tumorvorstufe aussieht herausgeschnitten wird. Das war für uns in dem Moment ein ziemlich großer Schock. Im Nachhinein betrachtet, war das natürlich das Beste, was dem Maimädchen passieren konnte. Was weg ist, ist weg und kann nicht mehr wachsen.
Wir wurden über die Risiken der OP aufgeklärt und uns wurde beschrieben, was es bedeutet, wenn man nicht nur die Niere, sondern auch das Nierenbecken mit operieren muss. Es ist problematischer, wenn auch die Nierenbecken eröffnet werden müssen, denn die Struktur heilt nicht so gut wie das übrige Nierengewebe. Das hat unter Anderem zur Folge, dass sich die Heilung verzögern kann. Davon sei anhand der Bilder zwar nicht auszugehen, aber die Aufklärung müsse halt so stattfinden.
Ziemlich fertig zog ich mit der Großen und dem Vollmondjungen ins Hotel (im Ronald McDonald Haus war in der ersten Nacht noch kein Platz frei) und ließ unser Maimädchen schweren Herzens mit dem Papa im Krankenhaus zurück.

Am OP-Tag hatten wir dann glücklicherweise mit dem Umzug in unser dauerhaftes Quartier zu tun. Dieses Warten war so furchtbar.
Im Krankenhaus werden einem oft Zeiten genannt, die leider häufig nicht so eingehalten werden (können), beziehungsweise, die für die Patienten und Angehörigen erst im Nachhinein nachvollziehbar sind.
Wenn es heißt, wir operieren ca. vier bis fünf Stunden bedeutet das tatsächlich, dass der Patient in der Zeit operiert wird. Nicht mitgerechnet wird die Zeit für die Narkose, die OP-Vorbereitungen, -Nachbereitungen, das Aufwachen etc. So wird aus einer vier bis fünf stündigen OP für die Angehörigen schnell eine Wartezeit von sechs bis sieben Stunden.
Jedenfalls schlich der Tag so dahin und je später es wurde, desto unruhiger wurden wir. Irgendwann am Nachmittag bekamen wir dann Bescheid, dass alles überstanden ist.
Kurz nach der OP traf ich den Chef-Chirurgen im Fahrstuhl. Das Maimädchen war noch im OP (soviel zu den OP-Zeiten…). Wir hatten uns vorher noch nicht kennen gelernt, das Aufklärungsgespräch wurde von einem anderen Arzt durchgeführt. Ich sagte ihm, dass er gerade meine Tochter operiert habe und er schaute mich an, sprach mich sofort mit Namen an und strahlte eine so große Sicherheit und Zuversicht aus. Es hätte einige Hürden gegeben, deshalb hat es auch länger gedauert als geplant, aber im Endeffekt sei alles sehr gut gelaufen. Er hätte leider jetzt nicht mehr Zeit, um auf Einzelheiten einzugehen, denn er hätte noch eine weitere OP. Er würde aber danach nochmal vorbei kommen und uns alles erklären.
Später erfuhren wir dann, dass tatsächlich bei beiden Nieren auch am Nierenbecken operiert werden musste. Zusätzlich hat man erst in der OP festgestellt, dass der Tumor in einer Niere einen Tumorzapfen in die Nierenvene gebildet hat. Normalerweise ist dies ein Grund, die Niere zu entfernen. Aufgrund des beidseitigen Auftretens wollte das Operationsteam das aber umgehen und telefonierte noch während der OP mit dem Referenzzentrum in Heidelberg, um abzustimmen, ob hier ein anderes Vorgehen möglich sei. Das Maimädchen durfte ihre Niere behalten. Beim Verschluss der Nierenvene gab es dann wohl weitere Probleme, sodass ein Patch (im Prinzip so etwas wie ein „Flicken“) zum Verschluss eingesetzt werden musste. Die OP war also bedeutend umfangreicher als geplant, daher auch die lange OP-Zeit.

Eine sehr lange Narbe über den Bauch der kleinen Heldin erinnert uns nun täglich an das, was diese Menschen im OP dort in Tübingen wundervolles vollbracht haben. Sie haben das Leben unserer Tochter gerettet. Und wir werden ihnen auf ewig dafür dankbar sein.

 

Die Eltern des Babys, das nach unserem Maimädchen operiert wurde, lernte ich einen Tag später kennen. Wir haben viel miteinander geredet in der Zeit im Ronald McDonald Haus. Leider haben wir uns danach aus den Augen verloren. Kurz vor Weihnachten erfuhr ich, dass die Familie immer noch zwischen ihrem zu Hause und der Klinik hin und her pendelt, weil es so viele Komplikationen bei der kleinen Maus gegeben hat. Danach hat sich die Mama nicht mehr gemeldet. Ich hoffe so sehr, dass auch diese Familie irgendwann in die Normalität zurückkehren kann.

Vor einigen Wochen meldete sich die Uniklinik Tübingen bei uns mit einer besonderen Bitte: Sie fragten, ob sie Fotos von dem Maimädchen haben dürften. Professor Fuchs würde demnächst einen Vortrag halten und gerne von unserem Fall erzählen. Wie könnten wir eine solche Bitte ablehnen!?

Tschüss Herr Willms! Auf nimmer Wiedersehen bitte!

„Hallo Schatz, Frau S. rief gerade an. Sie wollte nur mitteilen, dass der Befund des MRT da sei. Und es keine Tumorreste mehr gibt. Der Befund wird dann auch im System zu finden sein. So dass die Chirurgen diesen auch finden. Der Operation am Donnerstag steht somit nichts mehr im Wege.“

Das war die Nachricht, die ich nachmittags am Tag nach dem Abschluss-MRT bekam. Ich saß in einem Seminar, wir sollten gerade die Teilnahmezertifikate bekommen und ich habe gesehen, dass mein Mann mir eine Nachricht geschrieben hat. Ich glaube, es gibt niemanden außer mir, der sein Zertifikat über die Belehrung nach §43 Infektionsschutzgesetz (früher war das das Gesundheitszeugnis) mit Tränen in den Augen entgegen genommen hat. Das sorgte für erstaunte Blicke, war mir in dem Moment aber ziemlich egal.

Den ersten riesengroßen Schritt hatten wir geschafft! Keine Tumorreste. Nach dem MRT sind wir direkt bei den Chirurgen vorbei gegangen, um das Aufklärungsgespräch für die Katheterentfernung hinter uns zu bringen. Was einem da über mögliche Komplikationen erzählt wird, möchte man zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr hören. Auch wenn der größte Schritt geschafft war, war da ein Heidenrespekt vor dieser letzten kleinen OP.
Nun also der positive Abschlussbericht und damit die Zusage für die OP. Acht Tage nach dem Abschluss-MRT wurde der zentrale Venenkatheter dann auch schon gezogen:

Das Maimädchen fuhr früh morgens mit dem Papa ins Krankenhaus. Nachdem ich die Große für die Schule fertig gemacht, den Hund versorgt und noch ein paar Besorgungen gemacht hatte, fuhr auch ich ins Krankenhaus. Immer in Kontakt mit meinem Mann, der mir erzählte, was gerade im Krankenhaus passiert: Die OP verzögert sich, da das Team noch beim vorherigen Patienten ist; sie hat ihr Beruhigungsmittel bekommen; sie ist drin. Und dann die erlösende Nachricht:

„Ärztin war kurz hier. Katheter ist raus. Keine Komplikationen. Und wir bekommen ihn mit ..“

Und das ist er:

Der Katheter. Oder zumindest das Stück, das außen sichtbar war, den Rest haben sie nämlich abgeschnitten und entsorgt.

Ein weiterer Stein fiel mir vom Herzen.

Sollte das jetzt alles endlich vorbei sein? Keine Chemos mehr, keine blöden Antibiotikagaben, keine Angst mehr vor Fieber, keine wöchentlichen Krankenhausbesuche mehr? Endlich wieder leben? Im Matsch spielen, schwimmen gehen, draußen spielen ohne Angst vor Bakterien, Pilzen oder irgendwelchen Erkältungsviren, alles essen, was schmeckt: Himbeeren, Erdbeeren, Müsli, Camembert, Frischkäse von der Käsetheke…. Unvorstellbar!

Wir haben das ganze Wochenende gefeiert! Nicht so, wie man sich das vielleicht vorstellt. Wir haben nicht angestoßen, keine Party gemacht. Wir haben die Kinder einfach nur spielen lassen, machen lassen. Frei. Ohne störende Verbote. Und uns dazu gesetzt, zugeschaut, genossen. Und uns gefreut.

Um Weihnachten herum hatten wir Besuch. Von einer Familie, die auch ein krankes Kind hat. Diese Familie hat auch schon so einiges mitgemacht und die Mama sagte im Gespräch zu mir: „Im Umgang mit einer schweren Krankheit des Kindes sieht man auf einmal vieles mit anderen Augen. Ich habe gelernt, vieles nicht als selbstverständlich anzusehen und mich viel mehr an den alltäglichen Dingen zu erfreuen.“ Lange habe ich mit diesem Satz gehadert. Es fiel mir schwer, mich an den alltäglichen Dingen zu freuen, solange ich mitten in dem ganzen Mist steckte. Ich hatte kaum Augen dafür. War zu sehr in meiner Welt gefangen, die geprägt war von Hoffnung und Geduld und so wenig aus Zuversicht bestand.
Heute kann ich dieser Mama zustimmen. Ich sitze hier im Garten, bei 27° unter dem Sonnenschirm. Um mich herum spielen die Kinder. Der Sohn der Herzensfreundin ist da. Immer wieder tobt eines der Kinder um mich herum, an mir vorbei. Ich höre Kinderlachen, Freudenschreie. Und ich freue mich.

Auch im Kindergarten wurde gefeiert. Eines der Kinder kam auf die Idee, eine Party zu machen, weil das Maimädchen wieder gesund ist. Ist das nicht schön? Als ich das gehört habe, bin ich direkt wieder in Tränen ausgebrochen. Das Maimädchen hat die Party wohl sehr genossen. Sie hat erzählt, dass viel getanzt wurde 🙂

Und so leben wir uns langsam ein in unseren neuen Alltag, der eigentlich so alltäglich ist und doch wieder nicht.

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