Normalerweise feiert man Jahrestage. Man erinnert sich gerne an die besonderen Ereignisse, die an diesem Tag stattgefunden haben, schwelgt in Erinnerungen, stößt vielleicht an.

Und dann gibt es diese Tage, die auch Jahrestage sind, die aber nicht unbedingt gefeiert werden wollen.

Vor einem Jahr ist uns der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Seitdem steht für uns kein Stein mehr auf dem anderen. Meine Sicht auf die Welt hat sich geändert; Mein Urvertrauen, dass alles gut wird, hat einen mächtigen Knacks bekommen.

Als wir letztes Jahr mit dem Maimädchen auf dem Weg ins Krankenhaus waren und der Herzensmann mich fragte, ob ich mir Gedanken machen würde oder ein komisches Gefühl hätte, sagte ich ihm: „Ach, das wird schon nichts Schlimmes sein.“ Ich bin tatsächlich einfach davon ausgegangen, dass alles ok ist und habe nicht einen Gedanken daran verschwendet, dass irgendetwas nicht stimmen könnte.
Selbst im Krankenhaus, als die Ärztin in der Notaufnahme (mit der wir hinterher viel Kontakt hatten, da sie auf der onkologischen Station arbeitete) nach vielem Abfragen ohne Ergebnis einfließen ließ, dass es sich eventuell um etwas Bösartiges handeln könnte, war ich fest davon überzeugt, dass das nicht sein kann. Ich habe diese Möglichkeit einfach nicht in Betracht gezogen. Mein Bauchgefühl sagte etwas völlig anderes.

Seitdem vertraue ich meinem Bauchgefühl nicht mehr wirklich…

Denn seitdem hat sich unser Leben grundlegend geändert…

Dieser erste Jahrestag ist fast unbemerkt an uns vorbeigezogen, so leise hat er sich verhalten. Und doch ist er allgegenwärtig.
Gestern hat das Maimädchen ihre vorletzte Chemo bekommen. Seitdem sie nur noch alle vier Wochen Chemo bekommt, haut die Therapie sie gefühlt noch stärker um. Der Freitag Nachmittag war noch ok, sie hat im Auto auf dem Weg nach Hause geschlafen und war dadurch ganz gut drauf. Heute Morgen dann kam die große Spuckerei. So schlimm wie heute war es noch nie. Ihr ging es so schlecht, dass wir bis heute Mittag im Bett geblieben sind und sie zwischendurch nochmal tief und fest eingeschlafen ist. Das Mittel gegen Übelkeit will sie nicht, das kommt sofort im hohen Bogen wieder raus.
Im Laufe des Tages wurde es dann aber langsam besser und sowohl das verspätete Mittagessen, als auch das Abendessen haben wir bis jetzt nicht wiedergesehen.
Durch die unvorhergesehene Kuscheleinheit heute morgen war mein Wochenend-Einkaufs-Plan dann auch hinfällig und so bin ich nur heute Nachmittag nochmal schnell los, um das Nötigste für das Wochenende zu holen und die wichtigsten Vorräte aufzufüllen.
Die Kinder haben gespielt. Alle drei.
Und nun ist dieser Tag, der uns letztes Jahr so zugesetzt hat auch schon fast vorbei.

Ein neuer Alltag hat sich eingeschlichen. Ein Alltag, der bestimmt war durch Besuche im Krankenhaus, Chemotherapien, regelmäßige Ultraschalluntersuchungen, Angst und Unsicherheit.

Genauso wird sich hoffentlich bald ein neuer Alltag einschleichen, der aus regelmäßigen Kindergartenbesuchen und frei geplanten Aktivitäten besteht.
Und auch, wenn hin und wieder eine Ultraschalluntersuchung ansteht, wir werden die Steine um uns herum sammeln und unsere Welt wieder aufbauen und ich arbeite daran, mein Urvertrauen zurück zu bekommen.